Digital resources in the Social Sciences and Humanities OpenEdition Our platforms OpenEdition Books OpenEdition Journals Hypotheses Calenda Libraries OpenEdition Freemium Follow us

Stummfilm? – Tonfilm!

Lichtton aus dem Film „Sichtbare Gedanken“ (1933) in Sprossenschrift (Quelle: SächsStA-C, 30950 Böhme Fettchemie, Nr. 047)

Kinofilm ist Tonfilm! Und zwar fast von Anfang an. Eindrucksvolle Beispiele aus dem Bestand des Sachgebiets Audiovisuelle Medien des Sächsischen Staatsarchivs werden hier vorgestellt.

„Kino-Film ist Farbfilm!“ lautete die Überschrift des letzten Abschnitts im Beitrag zur Kinematographie. Der Mensch nimmt seine Umwelt in Farben wahr – und in aller Regel hört er auch die Stimmen, Töne und Geräusche in seiner Umgebung. Deshalb waren die frühen Pioniere der Kinematographie stets bestrebt, auch diese Sinneswahrnehmung mit zu berücksichtigen. Das geschah bestenfalls bereits bei der Produktion, spätestens jedoch bei der Aufführung der Filme.

 „Stummfilm“ heißt zunächst einmal, dass Stummfilme aufgrund technischer Limitierungen bei der Aufnahme nicht mit Ton kombiniert wurden. Sehr wohl wurden diese Stummfilme jedoch bei der Aufführung im Kinosaal mit verschiedenen Arten und Weisen von Tönen und Stimmen begleitet.

Stummfilm

Kinoerklärer:

Kinoerklärer unterlegten bei der Filmvorführung die Bilder mit der zugehörigen Erzählung. Die Sprecher hatten großen Einfluss auf den Charakter der Filmvorführung: Ihr Rede- und Improvisationstalent, Stimmvermögen und ihre Vorbereitung prägten die Aufführung im Kinosaal entscheidend mit. Sie machten aus jeder Vorführung ein individuelles Ereignis.

Musik:

Parallel oder statt eines Erklärers wurden Filmvorführungen auch von Musikern begleitet, manches Mal sogar von ganzen Orchestern. Das war zwar teuer, es gab jedoch gute Gründe für den Einsatz der musikalischen Darbietung: Vom trivialen Übertönen des Projektors in den Anfangstagen der Kinopraxis hin zu differenzierteren Absichten und Erfahrungen. Viele Filmtheoretiker wie auch Produzenten führten die beklemmende Stille im Kinosaal sowie die erst durch das multimediale, ineinander verschränkte Wahrnehmen von Bildern und Tönen als Grund für das Engagement der Musiker an. So nimmt es nicht Wunder, dass Zeitungen eigens Kritiker für die Filmmusik unterhielten und das Publikum oft eigens wegen besonders gelungener Kompositionen in die Kinosäle strömte.

In Deutschland begleitete zum Beispiel der Pianist Willy Sommerfeld im Kino Arsenal in Berlin bis in jüngste Vergangenheit die Bewegtbilder auf der Leinwand mit seinem Klavier.

Alternativ zu Musikern gab es bereits um 1900 die Möglichkeit, mithilfe elektrischer Klaviere, Orchestrien oder anderen, speziell für die Filmbegleitung konzipierter Musikinstrumente günstiger das Publikum auditiv zu versorgen.

Bis zum wirtschaftlichen Durchbruch des Tonfilms entwickelte sich parallel mit der Etablierung des Kinofilms die musikalische Begleitung stetig weiter. Es gab eigene Kompositionen und feste Engagements von Musikern in den Kinos. Erst nach 1930 wurde der Kinofilm als Tonfilm verstanden, der bereits bei der Aufnahme mit Musik, Sprache und Geräusch ausgestattet war.

Zwischentitel:

Nicht unerwähnt sollen Zwischentitel bleiben: Diese Filmelemente konnten Szenen ankündigen, Dialoge für das Publikum zugänglich machen oder komplexe Erläuterungen geben.

Beispiele für die Gestaltung von Zwischentiteln, 1923-1928 (Quelle: SächsStA-D, 13782 Sammlung Bewegtbilder, und SächsStA-L, 20698 Heine & Co. AG, Fabriken ätherischer Öle und Riechstoffe, Leipzig, Nr. 001)

Wie bei diesen Beispielen zu sehen ist, war die ästhetische Gestaltung der Zwischentitel in enger Beziehung zum Inhalt angelegt, schwankte zwischen nüchtern-sachlicher und expressionistischer Aufmachung.

Tonfilm

Übergangsform Nadelton

Die Schallplatte war bereits um 1900 technisch ausgereift. Da lag es nahe, Kinematograph und Schallplatte miteinander zu kombinieren. Jedoch waren Ton und Bild auf zwei getrennten Trägern aufgezeichnet und wurden mittels unterschiedlicher, getrennter Geräte abgespielt: Die notwendige Synchronizität wurde durch mechanische oder elektrische Kupplung des Projektors und des Plattenspielers erreicht. In Deutschland betätigte sich der Filmpionier Oskar Messter erfolgreich im Bereich des sogenannten Nadeltons. Zwischen 1903 und 1910 produzierte er mehrere hundert, von ihm „Tonbilder“ getaufte Filme: Bekannte und unterhaltsame Musikstücke wurden von Schauspielern vor der Kamera möglichst synchron nachgesungen. So entstand bei der Wiedergabe der gekoppelten Geräte den Eindruck eines Tonfilms, obwohl der Ton zuvor vollkommen unabhängig von der Bildaufnahme aufgezeichnet worden war.

Tipp: Das Deutsche Filminstitut hat zahlreiche Tonbilder aus der Sammlung Neumayer online zur Verfügung gestellt (zuletzt abgerufen am 01. Juni 2023).

Jedoch beschieden mehrere Limitierungen dieser ersten Tonfilmphase nur ein kurzes Leben: Die Wiedergabezeit der Schallplatten war kurz, Schallplatte und den Film synchron ablaufen zu lassen war schwierig und gleichzeitig entwickelte sich der lange Stummfilm weiter.

Mit Erfindung der Elektronenröhre um 1900 konnten die elektrischen Ströme bei Aufnahme und Wiedergabe von Schallereignissen verstärkt werden. Erst dadurch war es möglich, unabhängig von dem konkreten Aufzeichnungsmedium große Kinosäle in befriedigender Weise mit Hilfe von Tonübertragungsanlagen zu beschallen. So erlebte der Nadelton zwischen 1926 und 1930 noch eine kurze Wiederbelebung. Schlussendlich wurde er aber dann doch endgültig vom Lichttonverfahren ins Abseits gedrängt.

Reproduktion der Vorder- und Rückseite einer der 4 Schellackplatten, die den Ton zu dem aufwändig gestalteten Industriewerbefilm „Geht nicht ein und geht nicht aus“ (ca. 1937) lieferten. An der Innenseite die Einstanzung „FEWA Film“ 1. bzw. 3. Teil (Quelle: SächsStA-C, 30950 Böhme Fettchemie, Nr. 021)

Lichtton

Nach einer Vielzahl von theoretischen und experimentellen Vorläufern gelang es einer Entwicklergemeinschaft aus Berlin mit dem Akronym „Triergon“ 1922 erstmals, ein praxistaugliches Verfahren für Aufnahme und Wiedergabe von Tönen mittels Lichtton auf ein und demselben Filmstreifen zu etablieren:

Zunächst wurden die Schallschwingungen mittels einer Membran im Mikrofon in elektrische Schwankungen übersetzt. Eine sogenannte Tonkamera übertrug die Schwankungen anschließend auf einen Filmstreifen. Hierzu veränderte ein Lichtsteuergerät analog zu den Schwankungsänderungen die Menge an Licht, die auf den Filmstreifen fiel. Bei der Wiedergabe wurde das von der Tonlampe ausgesandte Licht durch die entwickelte Tonspur verändert und löste entsprechende Stromschwankungen beim Auftreffen auf die lichtelektrische Zelle (Fotozelle) aus.

Der älteste im Sächsischen Staatsarchiv erhaltene Lichtton aus dem Film „Sichtbare Gedanken“ (1933) in Sprossenschrift (links). Daneben ein Beispiel für Vielzackenschrift (1941) (Quelle: SächsStA-C, 30950 Böhme Fettchemie, Nr. 047)

Dieses Verfahren bot nach einem weiteren kopiertechnischen Zwischenschritt erstmals die Möglichkeit, Ton und Bild auf einem Träger zu fixieren. Damit war die  absolut zuverlässige Synchronizität sicherstellt. Dennoch gelang der wirtschaftliche Durchbruch erst um 1929.

Ab diesem Zeitpunkt trat der Lichttonfilm seinen weltweiten Siegeszug an. Innerhalb weniger Jahre waren Stummfilm und Nadeltonfilm eine absolute Randerscheinung.

Magnetton

1935 stellte die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft (AEG) auf der Großen Deutschen Funkausstellung in Berlin der Fachöffentlichkeit das Magnetophon K 1 vor. Dieses Tonbandgerät ermöglichte es, Schallereignisse durch Induktivität und Magnetismus auf einem Magnetband aufzunehmen und auch sofort wiederzugeben. Zeit- und kostenaufwändige technische Zwischenschritte waren nicht mehr notwendig. Bis dahin war für die Aufnahme und Wiedergabe von Schallereignissen nur die Schallplatte in Verwendung. Der 1923 erstmals auf Sendung gegangene Rundfunk in Deutschland gab für Tonaufnahmen täglich bis zu 15.000 Reichsmark bei einem Ausschuss von 50 % aus! Dementsprechend setzte sich das Magnettonband rasch durch. Die Weiterentwicklung war jedoch ab 1941 kriegsbedingt unterbrochen. Aufgrund von Bestimmungen der Alliierten wurden nach Kriegsende die Patente auf die Magnettonbandtechnik veröffentlicht. Innerhalb weniger Jahre etablierte sich weltweit die Magnetbandtechnik im professionellen Rundfunk.

Die Vorteile gegenüber Schallplatte und auch Lichtton waren offensichtlich:

  • klanglich in Bezug auf Dynamik und Frequenzgang
  • unter finanziellen Gesichtspunkten durch schnellere Verfügbarkeit und die Möglichkeit, die Magnetbänder wiederverwenden zu können.

Diese Argumente führten dazu, dass ab ungefähr 1955 auch im professionellen Filmproduktionsbereich die Magnettontechnik Einzug hielt.

Geräusche, Sprache und Musik wurden auf Magnetband aufgezeichnet und auf Magnetfilm abgemischt. Erst im letzten Entwicklungsschritt wurden die Töne als Lichttonnegativ überspielt und mit dem fertig geschnittenen Bildnegativ „verheiratet“, wie der Fachjargon lautete.

Die optische Randspur war dagegen aufgrund der gleichen fotochemischen Entwicklungs- und Kopiertechnik bei der massenhaften Vervielfältigung durch die Kopierwerke besser zu handhaben.

Ausblick

Die Lichttonspur blieb bis um 2000 weltweit der Standard. Selbstverständlich wurde das Verfahren verbessert, indem mehrere Kanäle auf der Tonspur aufgezeichnet wurden. Ab den 1970er-Jahren kam das bekannte Rauschreduktionsverfahren der Marke Dolby auch im Bereich Lichtton zur Anwendung.

Seit den 1990er-Jahren wurde außerdem der Ton digital als Lichtton aufgezeichnet und wiedergegeben. Mit dem Ende des Kinofilms als physische 35-mm Kopie endete auch die Ära Lichtton. Gegenwärtig werden Bilder und Töne digital auf Speichermedien aufgezeichnet, die nicht mehr speziell dem Bewegtbild gewidmet sind. Nichtsdestotrotz bietet der klassische Kinofilm auf 35-mm über nostalgische Verklärung hinaus bis heute kaum erreichte Qualitätsmerkmale in Bezug auf Auflösung und Dynamikumfang. In einigen wenigen Lichtspielhäusern kann man sich auch heute noch davon überzeugen.

Laut Internetrecherche existierten vor der Corona-Pandemie in Deutschland noch 84 Lichtspielhäuser, die analoge Filme in den Formaten 16-, 35- oder 70-mm aufführen konnten. So werden auch derzeit regelmäßig internationale Blockbuster wie zum Beispiel der Film „Joker“ (Todd Phillips, 2019) in ausgewählten Kinos auf 70-mm Film aufgeführt. Auch in Sachsen gibt es in mehreren städtischen Kinos noch die Möglichkeit, ausgesuchte Filme analog auf der Leinwand zu bewundern.


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Konstantin Wiesinger (19. Juni 2023). Stummfilm? – Tonfilm! SAXARCHIV-Blog. Abgerufen am 10. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/tw5q


Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.