Zum neuen Jahr – Datierungsfragen im Archiv

Der Jahresbeginn am 1. Januar ist nicht selbstverständlich, sondern steht in einer langen Reihe unterschiedlicher historischer Datierungsmöglichkeiten. Wie hat man in der Vergangenheit das jeweils aktuelle Datum notiert, wie den Jahreswechsel festgelegt? Beginnen wir also die Beiträge des neuen Jahres 2025 mit einem Blick auf historische Datierungen.
Insbesondere bei der Arbeit mit Beständen des Mittelalters und der frühen Neuzeit im Archiv gilt es, auf Besonderheiten historischer Datierungen zu achten. Dies ist für Projekte wie die derzeit laufende Retrokonversion und Erschließungsverbesserung des Bestands 10001 Ältere Urkunden wichtig. Eine genauere Vorstellung folgt demnächst. Ebenso ist für Orte, die das Jubiläum ihrer Ersterwähnung feiern möchten, eine zuverlässige Datierung des entsprechenden Dokuments unverzichtbar.
Neujahr: Unterschiedliche Jahreswechsel
Der Beginn eines neuen Jahres muss nicht zwingend am 1. Januar sein. In Urkunden des Sächsischen Staatsarchivs, die von Zisterzienserklöstern und von den Erzbischöfen von Trier ausgestellt wurden, tritt beispielsweise der dort übliche Annuntiatonsstil auf. Das neue Jahr begann dort nicht schon am 1. Januar, sondern erst am 25. März, dem Tag Mariä Verkündigung (lateinisch Annuntiatio Mariae).
Weitaus am häufigsten ist jedoch, wie im hier im Bild gezeigten Beispiel, die Vorverlegung des Jahreswechsels auf Weihnachten, also den 25. Dezember. Da Datierungen mit dem 25. Dezember und dem 1. Januar als Jahreswechsel parallel zueinander in derselben Zeit verwendet wurden, ist die Entscheidung für das richtige Jahr nicht immer einfach und kann manchmal auch misslingen.

Der im Beispiel gezeigte Fall ist jedoch eindeutig. Die Urkunde ist auf das Jahr 1454, und zwar auf den Tag des Evangelisten Johannes, einen Donnerstag, datiert. Das Fest des Evangelisten Johannes fällt auf den 27. Dezember und wurde sehr häufig für Datierungszwecke herangezogen.
Die Entscheidung für das richtige Jahr ist hier wegen der Angabe des Wochentags möglich. Im Jahr 1454 mit dem heute üblichen Jahreswechsel zum 1. Januar fiel der Tag des Evangelisten Johannes auf einen Freitag, 1453 jedoch tatsächlich auf einen Donnerstag. Es handelt sich also um eine Datierung, bei der das Jahr 1454 schon mit dem 25. Dezember, nicht erst mit dem 1. Januar, begann.
Datierungen mit abweichenden Jahreswechseln werden im Archiv und in historischen Arbeiten üblicherweise auf den heutigen Jahreswechsel am 1. Januar umgestellt. Damit werden Widersprüche in der Chronologie der Ereignisse vermieden.
Jahreskalender: Julianischer und Gregorianischer Kalender
Der Julianische Kalender, noch von Julius Cäsar eingeführt, stimmte um einige Minuten nicht mit dem Sonnenjahr überein. Im Laufe der Jahrhunderte summierte sich diese Differenz derart, dass Sonnenjahr und Tageszählung um viele Tage auseinanderlagen.
Abhilfe schuf der sogenannte Gregorianische Kalender, der am 24. Februar 1582 von Papst Gregor XIII. zwischen 1582 und 1584 in den meisten Ländern katholischer Konfession eingeführt wurde. Die evangelischen und orthodoxen Länder sperrten sich lange gegen diese Kalenderverbesserung, da sie ja von den Katholiken kam. Sie hielten zunächst am alten Julianischen Kalender fest.
Der neue Kalender wurde im Kurfürstentum Sachsen daher wie in den meisten anderen evangelischen Territorialstaaten des Heiligen Römischen Reiches erst im Jahr 1700 eingeführt. Vom 18. Februar sprang man auf den 1. März. Im Jahr 1699 wurde die bevorstehende Kalenderreform von den Kanzeln verkündet.
In einem Teil Kursachsens galt der Gregorianische Kalender jedoch schon über ein Jahrhundert, nämlich in der Ober- und Niederlausitz. Diese böhmischen Kronländer wurden zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges 1620 von kursächsischen Truppen besetzt und fielen 1635 mit dem Prager Frieden endgültig an Kursachsen. Dabei wurden den dortigen Ständen ihre bisherigen Rechte einschließlich der Ausübung der katholischen Religion durch die dortige katholische Minderheit garantiert. Hier war schon 1584 mit dem Sprung vom 12. zum 23. Januar der Übergang zum neuen Kalender vollzogen worden.


Der hier gezeigte Brief veranschaulicht, dass die Stadt Bautzen auch nach dem Übergang an Kursachsen am Gregorianischen Kalender festhielt. Das Schreiben an den Kurfürsten hat die Datierung „Signatum Budißin, den 1. Maij 1679“. Eingegangen ist das Stück in Dresden wegen der dortigen Verwendung des Julianischen Kalenders jedoch formal früher: p[rae]s[entatum] 23. Apr[ilis] st[ilus] vet[eris] 1679 (eingegangen am 23. April 1679 nach altem Stil). Der 23. April war damals nach neuem Kalender der 3. Mai. Der Brief hatte von Bautzen nach Dresden also 2 Tage gebraucht.
Der Inhalt des Schreibens zeigt übrigens, dass trotz der früheren Übernahme des Gregorianischen Kalenders und der offiziellen Duldung der katholischen Religion das damalige Denken von religiöser Toleranz oft noch weit entfernt war. Der Stadtrat sprach sich darin vehement gegen die Einbürgerung eines italienischen Händlers in Bautzen aus, vor allem, weil dieser Katholik war.
Bei Datierungen im Archiv und in Arbeiten zur Geschichte ist es im Allgemeinen nicht üblich, Datierungen nach dem Julianischen Kalender nachträglich in den Gregorianischen Kalender umzurechnen. Auch die insbesondere in der Zeit von 1582 bis 1700 häufigen Doppeldatierungen nach beiden Kalendern bei Verträgen mit Vertragspartnern mit unterschiedlichen Kalendern werden übernommen.
Tagesdatierung: Römische Zeitrechnung
Die Urkunden der römisch-deutschen Kaiser und Könige sowie der Päpste des Mittelalters wurden üblicherweise nach römischer Zeitrechnung datiert. Dabei wurden folgende Namen für bestimmte Tage verwendet: die Kalenden für den 1., die Nonen je nach Monat für den 5. oder 7. und die Iden für den 13. oder 15. Tag des Monats. Zu den Kalenden, Nonen und Iden wurde jeweils rückwärts gezählt.

Das hier gezeigte Beispiel, eine Urkunde König Heinrichs IV. von 1071, ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand die Ersterwähnung der Stadt Görlitz. Im Dezember fallen die Iden auf den 13. Monatstag. Der hier zur Datierung verwendete 3. Tag vor den Iden („III. id[us] dece[m]b[ris]“) fiel demnach auf den 11. Dezember. Die Kalenden, Nonen und Iden werden stets bei der Zählung mitgezählt.
Tagesdatierung nach festen und beweglichen kirchlichen Feiertagen
Bis zur Reformation war die Datierung nach kirchlichen Feiertagen die häufigste Datierungsform. Das Titelbild dieses Beitrages zeigt eine Datierung nach dem Dreikönigstag, dem 6. Januar. Der Dreikönigstag wird hier abweichend als „Oberster Tag“ bezeichnet. Diese alte Bezeichnung ist davon hergeleitet, dass dieser Tag der oberste, also der letzte Tag der Weihnachtszeit war.
![Kursächsischer Lehnbrief für Hynek Berka von der Duba über Mühlberg an der Elbe, ausgestellt „am Dornstage [Donnerstag] in der heiligen Osterwochen“ (25. April) 1443 (Quelle: SächsStA-D, 10001 Ältere Urkunden, Nr. 06762)](https://saxarchiv.hypotheses.org/files/2024/12/Bild2_10001Nr_6762mS_kl-500x427.jpg)
Neben fest datierten Feiertagen wurden auch die von Ostern abhängigen beweglichen Feiertage des Kirchenjahres oft für Datierungen verwendet. Der hier gezeigte Lehnbrief für einen Angehörigen der böhmischen Adelsfamilie Berka von der Duba über Mühlberg an der Elbe ist typisch. Der Ostersonntag 1443 fiel auf den 21. April. Der Donnerstag in der Osterwoche, also der Woche nach dem Ostersonntag, ist also der 25. April.
Es kam häufig vor, dass die Datierung sich nicht auf den Feiertag selbst, sondern auf einen der Wochentage davor oder danach bezog. Für die Bestimmung der beweglichen Feiertage und der Wochentage vor bzw. nach einem Feiertag benötigt man einem Kalender für das entsprechende Jahr.
Weiterführende Informationen und Literaturhinweise
Das Standardwerk für die Ermittlung historischer Daten ist noch immer das „Taschenbuch der Zeitrechnung“ von Hermann Grotefend (1845 – 1931). Der Autor war Archivar in den Staatsarchiven Breslau und Aurich, am Stadtarchiv Frankfurt am Main und zuletzt am Geheimen und Hauptarchiv Schwerin, das er von 1887 bis 1921 leitete. Sein „Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit“, in Fachkreisen kurz der „Grotefend“ genannt, erlebte seit 1898 14 Auflagen, die vorerst letzte 2007.
Dieses Werk und das vom selben Autor stammende ausführlichere Werk „Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit“ (Erstauflage 1872 noch unter dem Titel „Handbuch der Historischen Chronologie“) sind inzwischen in unterschiedlicher Form für das Internet aufbereitet worden. Eine Übersicht mit Links zu den verschiedenen Fassungen findet man auf der Homepage des Vereins für Computergenealogie.
Weiterführende Hinweise zur historischen Chronologie stellt die Universität Tübingen bereit. Hier gibt es auch eine kurze Einführung in die Benutzung des „Grotefend“.
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Eckhart Leisering (6. Januar 2025). Zum neuen Jahr – Datierungsfragen im Archiv. SAXARCHIV-Blog. Abgerufen am 21. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/130b1