Digital resources in the Social Sciences and Humanities OpenEdition Our platforms OpenEdition Books OpenEdition Journals Hypotheses Calenda Libraries OpenEdition Freemium Follow us

Unrechtsaufarbeitung im Archiv: Das Untersuchungsgefängnis Plauen

Aufriss des nordwestlichen und östlichen Zellenflügels, Ansicht vom Frauenhof an der Schlossbergstraße, 1910 (Quelle: SächsStA-C, 30067 Untersuchungsgefängnis Plauen, Nr. 114).
Aufriss des nordwestlichen und östlichen Zellenflügels, Ansicht vom Frauenhof an der Schlossbergstraße, 1910 (Quelle: SächsStA-C, 30067 Untersuchungsgefängnis Plauen, Nr. 114).

von Karola Scherf und Paul Sperber

Die Bereitstellung von Unterlagen für die Nutzung ist eine zentrale Aufgabe des Sächsischen Staatsarchivs. Immer wieder stehen im Zuge der Aufarbeitung erlittenen Unrechts unter nationalsozialistischer oder SED-Herrschaft u. a. Haftanstalten im Fokus. Beispielhaft wird im Folgenden der Bestand zum Untersuchungsgefängnis Plauen vorgestellt.

Benutzung im Sächsischen Staatsarchiv

Die Bereitstellung von Unterlagen für die Nutzung ist eine zentrale Aufgabe des Sächsischen Staatsarchivs. Im Sinne eines höheren Nutzungskomforts verfolgt das Staatsarchiv den kontinuierlichen Ausbau seines Online-Angebots und die Optimierung der Benutzerfreundlichkeit als strategisches Ziel.

Die ansteigende Zahl an Zugriffen auf die Website zeigt, dass dieses Angebot auf stetig wachsendes Interesse stößt. Während 2022 noch 1,8 Mio. Klicks gezählt wurden, waren es 2023 bereits 2,6 Mio. Die Erschließungsinformationen und die Digitalisate des Staatsarchivs wurden von Besucherinnen und Besuchern der Website besonders nachgefragt.

Doch obwohl sich das digitale Angebot fortlaufend verbessert, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Benutzung des originalen Archivgutes auch weiterhin notwendig ist und zu einem großen Teil in den Lesesälen stattfindet. Im Jahr 2023 besuchten bspw. 2075 Einzelpersonen das Sächsische Staatsarchiv. Das trifft insbesondere für Unterlagen zu, die noch den archivischen Schutzfristen unterliegen. Dazu können auch personenbezogene Unterlagen (bspw. Haftakten) der Haftanstalten gehören. Informationen zur Anreise, den Öffnungszeiten und zur Benutzung finden Sie auf der Internetseite des Staatsarchivs.

Kopien von Archivgut

Wenn keine Schutzfristen zu beachten sind und der Zustand der Archivalien es erlaubt, können im Staatsarchiv Kopien von Archiv- und Bibliotheksgut selbständig von Benutzern angefertigt werden. Dafür stehen in den Lesesälen Scanzelte sowie Film- und Archivgutscanner bereit.

Der Bestand 30067 Untersuchungsgefängnis Plauen

In Sachsen sind die Strafanstalten Hoheneck, Sachsenburg und Waldheim prominente Erinnerungsorte für erlittenes Unrecht durch staatliche Institutionen, deren Überlieferung vor allem fallbezogen in der Aufarbeitung häufig nachgefragt wird. Demgegenüber scheint der geschichtswissenschaftliche Wert von Unterlagen auch kleinerer Einrichtungen für das Verständnis der Entwicklung des sächsischen Strafvollzugs bislang wenig Beachtung zu finden.

Im November 2018 gab die Justizvollzugsanstalt Waldheim im Rahmen der Anbietung und Aussonderung archivwürdig bewertete Unterlagen an das Sächsische Staatsarchiv ab. Unter diesen Unterlagen befanden sich unter anderem auch aufgerollte Bauzeichnungen zur Liegenschaft des Untersuchungsgefängnisses Plauen. Diese Pläne lenkten die Aufmerksamkeit auf die im Staatsarchiv Chemnitz bereits vorhandenen Unterlagen der Haftanstalt.

Die etwa 120 Akten des Bestandes 30067 Untersuchungsgefängnis Plauen decken einen Zeitraum von 1920 bis 1952 ab. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Mitte der 1930er bis 1940er Jahre. Die Unterlagen spiegeln unter anderem die Verwaltung, Organisation und den Haushalt der Haftanstalt, die Behandlung der Gefangenen (z. B. Strafen, Unterbringung, Verpflegung, Verkehr mit der Außenwelt etc.) sowie ihren Arbeitsalltag (z. B. Gleisbauarbeiten für die Deutsche Reichsbahn) wider. Des Weiteren finden sich Personal- (Dienstverhältnisse, Waffengebrauch, usw.) sowie Grundstücks- und Gebäudeangelegenheiten (Zeichnungen und Pläne zum Um- und Ausbau).

Haftakten sind dagegen im Bestand nur vereinzelt überliefert. Für entsprechende Beispiele empfiehlt sich eine ergänzende Recherche in den Beständen 30068 Gefangenenanstalt Hoheneck und 30071 Zuchthaus Zwickau.

Bauunterlagen nebst Justizakten

Insgesamt ergänzen nun 40 Pläne die Bestände zum Untersuchungsgefängnis bzw. der späteren Strafvollzugseinrichtung Plauen, welche direkt nach der Übernahme verzeichnet wurden. Die großformatigen Zeichnungen datieren bis ins Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Vorrangig handelt es sich dabei um Grund- und Aufrisse der einzelnen Geschosse des Gefängnisses, aber auch Installationspläne gehören dazu. Sie alle bieten einen detaillierten Einblick in den inneren Aufbau und bauliche Veränderungen bis in die Mitte der 1970er Jahre hinein.

Ein Blick in die Akten: „Ich sehnte mich nach Freiheit“

In einer regnerischen Aprilnacht des Jahres 1939 gelang dem wegen Betrugs inhaftierten Johannes Schubert – einem Schlosser Mitte Dreißig – die Flucht aus dem Untersuchungsgefängnis Plauen. Etwa vier Wochen hatte er dazu mit seinem Tischmesser einen Eisenstab am Fenster seiner Zelle angesägt, bevor sich dieser endlich löste. In der Nacht des 18. April seilte sich Schubert mittels eines aus seiner Bettdecke und seiner Schürze selbst hergestellten Seils auf ein Schuppendach ab. Dort angekommen, band er ein zweites Seil an einen Fliederstrauch und gelangte so in den Hof des Landgerichtes, wo er über das Tor kletterte. Sein Ausbruch war erfolgreich und blieb zunächst unbemerkt, hatte doch der Regen seine beim Entweichen verursachten Geräusche übertönt. Schubert floh nun Richtung Joketa, wurde jedoch drei Tage später von der Kriminalpolizei wieder eingefangen.

Skizze über die Flucht des am 18. April 1939 entwichenen Schlossers Johannes Schubert (Quelle: SächsStA-C, 30067 Untersuchungsgefängnis Plauen, Nr. 29).
Skizze über die Flucht des am 18. April 1939 entwichenen Schlossers Johannes Schubert (Quelle: SächsStA-C, 30067 Untersuchungsgefängnis Plauen, Nr. 29).

Die zu diesem Zwischenfall befragten Beamten bescheinigen ihrem Häftling, er sei „äusserst geschickt vorgegangen“. Dem stimmte offenbar auch der Oberstaatsanwalt beim Landgericht Plauen zu, denn den aufsichtspflichtigen Vollzugsbeamten konnte kein strafbares Verschulden angelastet werden. „Ich sehnte mich nach Freiheit“, gab der Flüchtige später bei seiner Vernehmung an. Gegen den Häftling Schubert wurde Strafantrag gestellt. Nicht wegen seines Entweichens, denn ein Gefängnisausbruch ist bereits seit dem 18. Jahrhundert faktisch straffrei (in der DDR war die Selbstbefreiung nach §237 StGB allerdings strafbar). Stattdessen wurde die Sachbeschädigung seiner Decken und seiner Schürze strafbewehrt.

Die Haftanstalt Plauen

Die selbstständige Gefangenenanstalt befand sich seit 1852 in den Räumlichkeiten der Plauener Höhenburg von etwa 1250, in welchen zuvor die Plauener Vögte und ab 1670 die albertinische Nebenlinie Sachsen-Zeitz residierten. Nach der Umbenennung der Vollzugsanstalten im Oberlandesgerichtsbezirk Dresden führte sie die Bezeichnung „Untersuchungsgefängnis“. Ab 1940 war sie auch für die Strafvollstreckung in den deutschen Amtsgerichtsbezirken Pilsen, Strakonitz und Böhmisch-Budweis zuständig. Luftangriffe zerstörten 1945 Teile der Untersuchungsgefängnis Plauen. Die intakten Gebäude der Anlage wurden in der DDR weiterhin als Gefängnis genutzt, 1964 erhielt es den Status einer selbständigen Strafvollzugseinrichtung mit Untersuchungshaftabteilung. Nach 1990 erfolgte die Umwandlung der Strafvollzugseinrichtung in eine Justizvollzugsanstalt. Wegen des schlechten baulichen Zustandes wurde die Justizvollzugsanstalt Plauen zum 31. August 2007 geschlossen. Zuletzt hatte sie 214 Haftplätze, v. a. im offenen Vollzug. Nach ihrer Schließung gelangten die Unterlagen der Justizvollzugsanstalt Plauen zur weiteren Aufbewahrung in die Justizvollzugsanstalt Waldheim. Ende 2013 wurde der Gebäudekomplex vollständig abgetragen.

Kleine Haftanstalt – aussagekräftiger Bestand

Wenn auch nicht derartig prominent wie die Haftanstalten Torgau, Hoheneck oder Waldheim, so ist der relativ kleine Bestand zum Untersuchungsgefängnis Plauen jedoch keineswegs weniger aufschlussreich. Bei geringem Umfang präsentiert er beispielhaft einen kompakten und anschaulichen Überblick zum sächsischen Strafvollzug vom ausgehenden 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Dadurch bietet sich der Bestand besonders für den sonst mangels aussagekräftiger Quellen schwierigen strukturgeschichtlichen Einstieg in dieses komplexe Thema an und ist nicht zuletzt auch für die Auswertung im schulischen Bereich geeignet.

Friedemann Schreiter: Strafanstalt Waldheim. Geschichten, Personen und Prozesse aus drei Jahrhunderten. Berlin 2014.

André Thieme: Zur Entwicklung des deutschen Gefängniswesens und besonders des Strafvollzugs im Königreich Sachsen nach 1800. In: Stadtmuseum Dresen: Hinter Gittern. Drei Jahrhunderte Strafvollzug in Sachsen. Dresden 1998.

Jörg Wicke: Burg und Schloss der Vögte zu Plauen. In: Burgen und Schlösser., Bd. 57, Heft 4. Braubach 2016, S. 205 – 215.

Grafik: Wieland Medien, Leipzig.



OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
SAXARCHIV (13. Januar 2025). Unrechtsaufarbeitung im Archiv: Das Untersuchungsgefängnis Plauen. SAXARCHIV-Blog. Abgerufen am 10. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/132hh


Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.